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9. Mai 2020

Aktuelle Studien zeigen: Aerosolausstoß bei Bläsern wesentlich geringer als vermutet

Die sieben großen Berliner Orchester haben zusammen mit Epidemiologen und Hygieneexperten Empfehlungen erarbeitet, wie ein Konzertbetrieb in Pandemie-Zeiten aussehen kann. Grundlage sind teilweise überraschende Studienergebnisse.

 

 

 

Die Gerüchteküche brodelte an allen Enden und Ecken. Da war von fünf, sieben, sogar zwölf Metern Abstand zwischen den Instrumenten die Rede. Deshalb haben sich die sieben großen Orchester Berlins zusammengetan und mit dem Epidemiologen Stefan Willich von der Charité und Hygieneexperten des Universitätsklinikums die sachlichen Fakten verschiedener Studien auf zehn Seiten zusammengetragen und ausgewertet. 


Artikel von Maria Ossowski, Quelle: rbb24, Abendschau, 07.05.2020, 19.30 Uhr


Zwei Meter Abstand bei den Bläsern
Der Trompeter des Deutschen Sinfonieorchesters, Matthias Kühnle: "Eine Studie in Bamberg ist von sehr großer Bedeutung. Der Landesmusikrat in Berlin hat Kontakt mit der Uni Eindhoven aufgenommen, mit einem Professor, der als Aerodynamiker Abstrahlversuche mit Aerosolen unternimmt. Diese Studie wird auch weiter verfolgt."

Grundlage sind die allgemeinen Hinweise des Robert-Koch-Instituts: Hände waschen, desinfizieren, Abstand halten und bei geringsten Krankheitsanzeichen zu Hause bleiben. Für die einzelnen Instrumentengruppen gelten da besondere Regeln. Die Stühle der Streicher, der Schlagzeuger, der Harfen und der Tasteninstrumente müssen anderthalb Meter voneinander entfernt sein. Die der Bläser zwei Meter, nicht mehr. Denn Bläser wie beispielsweise die Trompete stoßen weniger Luft aus als gemeinhin vermutet.


"Versuchen Sie mal, mit einer Trompete eine Kerze auszublasen"
Der Epidemiologe Stefan Willich: "Das schätzt man als Laie völlig falsch ein. Da hat man das Gefühl, da geht ein riesiger Luftstrom durch das Instrument und wird vielleicht sogar noch verstärkt. Und das Gegenteil ist der Fall. Der Trompeter bläst mit ganz wenig Luft hinein, Holzbläser noch weniger. Beim Sprechen verwendet man sehr viel mehr Luft als mit einigen der Holzblasinstrumente. Man kann das in einem ganz einfachen Bild visualisieren: Man kann einfach mal versuchen, mit einer Trompete eine Kerze auszublasen. Das ist ausgesprochen schwierig, weil da vorne kaum was rauskommt aus dem Instrument."

Den Bläsern werden außerdem Plexiglasscheiben empfohlen, die das Instrument abschirmen. "Bei den Bläsern kommt dazu, dass man bezüglich der Entwässerung und des Kondenswassers und der Reinigung besonders aufpassen muss, damit dieses Wasser nicht wie üblich einfach auf den Boden geschüttet oder getropft wird, sondern dass man das in Tüchern auffängt, die danach zu reinigen oder zu entsorgen sind. Dass man das Kondenswasser dieser Instrumente als infektiös betrachtet."


Neue Expertisen zum Flöten-Ausstoß
Wie infektiös es sein könnte, ist nicht sicher, da walte dann eben besser die Vorsicht. Die Dirigentin oder der Dirigent sollten in den Proben mindestens zwei Meter Abstand halten, beim Konzert anderthalb. In den Proben spricht sie oder er, im Konzert nicht. Interessant: Eine Weile hieß es, die Flöte versprühe besonders viel Aerosol.

Die neueren Expertisen, so Willich, seien zu anderen Schlüssen gekommen: "Bei der Flöte ist es tatsächlich so, dass das Meiste direkt nach vorne, also über das Mundstück hinausgeblasen wird und ein Meter oder maximal anderthalb Meter danach nachweisbar ist. Darüber hinaus ist kein Luftstrom mehr nachweisbar und auch nach rechts zum Nachbarn hin ist kein Luftstrom nachweisbar."


Konzerte können stattfinden - mit Einschränkung
Während des Konzerts bräuchten Musiker keine Maske zu tragen, denn während des Konzerts sprechen sie nicht - wohl aber vorher im Proben- oder Warteraum und sofort im Anschluss. Für Opernorchester im Graben gelten besondere Belüftungsempfehlungen, da ist die Situation schwieriger. Fest steht: Mit allen eingehaltenen Abständen werden die Konzerte der großen Orchester mit weniger Musikern stattfinden müssen. Einfach, weil der Platz fehlt. Aber sie können stattfinden, das ist die Botschaft. Und sie strahlt von den großen Klangkörpern in Berlin aus. Die Orchester im Bundesgebiet können sich daran orientieren.

"Ich erhoffe mir, dass wir eine Basis der Diskussion finden, die auf Fakten und auf Austausch untereinander beruht und nicht auf Hörensagen und Kolportage", so Trompeter Matthias Kühnle: "Wir erhoffen uns von diesen Empfehlungen eine sachliche Diskussion. Und ich erhoffe auch Möglichkeiten für uns, wieder in einen geordneten Spielbetrieb zurückzufinden."

 

Unter diesem Link finden Sie den Originalbeitrag.

 

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