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5. Juni 2013

Paradigmenwechsel für musikalische Bildung

Stellungnahme des DTKV Berlin zu den Vertragsumstellungen an bezirklichen Musikschulen in Berlin

Der DTKV Berlin sieht die aktuellen Vertragsumstellungen an bezirklichen Musikschulen in Berlin sehr kritisch. Sie bedeuten einen Paradigmenwechsel für musikalische Bildung in Berlin.

Anlass für die Neuregelung der Verträge und der nun erfolgenden Vertragsumstellungen sind vor allem Prüfungen der Deutschen Rentenversicherung, aber auch Forderungen des Landesrechnungshofes, die eine Klärung der Vertragsverhältnisse zwischen Honorarkräften und Musikschulen nötig gemacht haben. Die Vermeidung von Scheinselbstständigkeit aber auch die Art der Leistungserbringung waren Hauptgründe der Neuregelungen.

Die Senatsverwaltung hat erhebliche Anstrengungen unternommen, die neuen Ausführungsvorschriften – die Grundlage der neuen Verträge – und die Umstellung der Verträge möglichst für alle Beteiligten verträglich zu gestalten. Das Resultat ist allerdings eine aufwändige und komplizierte Umgehungsarchitektur, die die Bedingungen, unter denen musikalische Bildung in Berlin stattfindet, leider deutlich verschlechtert.

In Zeiten, wo Kulturelle Bildung ein zentrales Thema geworden ist, verwundert diese Verschlechterung besonders. Die Kultusministerkonferenz hält dieses Thema genauso hoch wie der Deutsche Kulturrat mit seinem diesjährigen Aktionstag. Selbst von Bundesseite werden erhebliche finanzielle Mittel für diese gesellschaftlich gewollte Arbeit bereitgestellt. Das Land Berlin jedoch geht mit den neuen Regelungen einen Sonderweg, der sich von diesen erfreulichen Entwicklungen absehbar entfernt.

Strukturell bedeuten die neuen Verträge, dass die bezirklichen Musikschulen zu Dienstleistungszentralen für individuelle Leistungen von externen Anbietern werden – den Musikschullehrern. Der damit verbundene, erheblich erhöhte bürokratische Aufwand, vor allem für die Schulen, erschwert qualitativ hochwertige musikalische Bildung bis hin zur Unmöglichkeit. Durch die Zerschlagung der verbliebenen schulischen Strukturen an den bezirklichen Musikschulen wird institutionelle und kollegiale Zusammenarbeit verhindert anstatt befördert. Diese wäre aber für musikalische Bildung in Berlin eigentlich dringender nötig denn je.

Für die Instrumental- und Gesangspädagogen sind die neuen Verträge persönlich demütigend. Sie werden von staatlicher Seite gezwungen, zukünftig zu noch schlechteren Bedingungen zu arbeiten als bisher schon. Ein insgesamt hochqualifizierter und besonders motivierter Berufsstand wird so – von Sozialdemokraten – gezwungen, als freie Unternehmer zu arbeiten. Noch dazu in Zusammenhängen, wo das keinen Sinn macht: weder betriebswirtschaftlich, da die Honorarsätze nicht verhandelbar sind, noch inhaltlich, da qualitative Aspekte keine Rolle spielen. An bezirklichen Musikschulen zu arbeiten wird so insgesamt deutlich weniger attraktiv für die nun offiziell freiberuflichen Musikschullehrer.

Aus Sicht des DTKV Berlin werden diese neuen Verträge und Strukturen zu einer weiteren Erosion der bezirklichen Musikschulen führen. Geschäftstüchtige und entsprechend qualifizierte Musikschullehrer werden sich noch mehr privat orientieren und organisieren, als das schon jetzt geschieht. Sie können auf dem freien Markt teilweise deutlich höhere Honorare erzielen, ohne sich Ihre Arbeitsbedingungen einseitig vorschreiben lassen zu müssen.

Dort stellen die viel zu niedrigen staatlichen Sätze in vielen Fällen ein signifikantes Hindernis in Honorar-Verhandlungen dar. Da musikalische Bildung aber insgesamt sehr stark nachgefragt wird, ist trotzdem eine qualitative und quantitative Verschiebung musikalischer Bildung vom öffentlichen in den privaten Sektor zu erwarten, da schon jetzt dort wesentlich höhere Honorare erwirtschaftet werden können.

Als Folge davon wird sich die soziale Selektion im Hinblick auf den Zugang zu musikalischer Bildung eher verengen als verbreitern. Die Senatsverwaltung erreicht so das Gegenteil von dem, was gesellschaftlich und politisch weitgehend Konsens ist – auch unter Musikpädagogen.

Aus Sicht des DTKV Berlin ist das bisherige Musikschulsystem daher am Ende angekommen. Auch eine an sich wünschenswerte Mehrausstattung mit Planstellen wird die durch die Praxis der vergangenen Jahrzehnte entstandenen massiven strukturellen Probleme nicht lösen. Als Stichwort sei die falsche Eingruppierung der Musikschullehrer im Tarifsystem des öffentlichen Dienstes genannt.

Es ist an der Zeit für ein neues System für musikalische Bildung in Berlin. Der soziale Zugang zu musikalischer Bildung muss nicht nur aufrechterhalten, sondern deutlich verbreitert werden. Gleichzeitig muss die hohe Qualifikation der Lehrer deutlich besser bezahlt werden. Die realen Einkommenseinbußen der Vergangenheit müssen mindestens ausgeglichen werden.

Das kostet Geld, kann aber gelingen, wenn der Schwerpunkt staatlicher Förderung auf die Bereiche gelegt wird, die gesellschaftlich besonders dinglich sind: Ausweitung und Öffnung des Angebotes für breitere Schichten der Gesellschaft, insbesondere sogenannter bildungsferner Schichten, und der koordinierten Spitzenförderung für den professionellen musikalischen Nachwuchs in Deutschland.

Höhere staatliche Zuwendungen könnten zusammen mit einer weitgehend einkommensabhängigen Entgeltordnung für die notwendig langfristige Finanzierung sorgen. Wirtschaftliche Anreize für Musikschulen und Lehrkräfte sollten sich in einer neuen Gebührenordnung genauso wiederfinden wie qualitative Aspekte.

Der DTKV-Berlin hält solch ein System für realisierbar und für alle Seiten vorteilhafter, als das bestehende – nicht zuletzt auch aus berufsständischer Sicht. Denn es könnte helfen, die problematische Kluft zwischen privaten und staatlichen Musikschulen zu überwinden und eine neue, breitere Basis für musikalische Bildung zu schaffen – unter für alle Seiten attraktiven Rahmenbedingungen.

Aus diesen Gründen und aus Mangel an realistischen Alternativen rät der DTKV Berlin den betroffenen Musikschullehrern, die neuen Verträge zu unterschreiben – und sich danach exakt so zu verhalten, wozu sie durch die neuen Verträge gezwungen werden: als selbstständige und freie Unternehmer. Obwohl solch ein Verhalten dem Selbstverständnis der allermeisten Musikpädagogen fundamental widerspricht, wird so im Alltag sehr schnell deutlich werden, was diese neuen Verträge anrichten.

In Konsequenz bedeutet dies im Einzelnen, dass der Unterricht zwar stattfinden kann, aber nicht muss. Vorspiele sind zu den angedachten, lächerlichen Honorarsätzen wohl ebenso Vergangenheit wie beispielsweise die Teilnahme an Konferenzen oder andere, für die Musikschule repräsentative Veranstaltungen. Eine Vorbereitung auf ‘Jugend Musiziert’ oder die Arbeit in der Studienvorbereitung rechnen sich mit den neuen Verträgen für den Einzelnen Pädagogen noch weniger als bisher, da weder der erheblichen Mehraufwand, noch die dazu erforderliche Qualifikation angemessen vergütet wird.

Der DTKV Berlin verfolgt außerdem die vor einem Jahr begonnene Arbeits- und Sozialrechtliche Prüfung weiter und wird Rechtsgutachten in Auftrag geben. Der Verband ist nach wie vor der Meinung, dass die beschriebene Umgehungsarchitektur juristisch anfechtbar ist. Betroffene Musikschullehrer werden daher aufgefordert, individuell ihre Rechte zu prüfen und sich entsprechend beraten zu lassen. Der DTKV Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, diese juristischen Aktivitäten zu bündeln und zu koordinieren. Andere Verbände und einzelne Musikschullehrer werden ermutigt, den Kontakt zu suchen. Nur gemeinsam sind bessere Bedingungen für musikalische Bildung in Berlin durchsetzbar.

Helge Harding

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